Luther, Freiheit und die Bibel

Das Lutherhaus in Eisenach

Meine früheste Erinnerung an das Lutherhaus Eisenach dreht sich um einen Eselskopf. Bis heute bieten die Museumspädagoginnen des Lutherhauses den „Unterricht wie zu Luthers Zeiten“ an und lassen Kinder in die berühmt-berüchtigte Tiermaske schlüpfen. Der Fokus der Dauerausstellung liegt hingegen auf Luthers Bibelübersetzung auf der Wartburg und der Bedeutung dieses historischen Ereignisses bis in die heutige Zeit.

Als Eisenacherin hatte ich schon als Kind Berührungspunkte zu Martin Luther, kannte die Geschichte vom Tintenfleck auf der Wartburg und nahm wie wohl alle Eisenacher Schüler an der Exkursion ins Lutherhaus teil. Bei ebendieser entstand die Erinnerung an den Eselskopf. Schemenhaft erinnere ich mich an alte Stammbäume und Gemälde, doch die meisten Eindrücke von damals sind heute verblasst. Umso gespannter war ich, als ich mich vor Kurzem erneut auf den Weg zum Lutherhaus Eisenach machte.

Auf den Spuren des jungen Luther

Dass Martin Luther untrennbar mit der Geschichte Eisenachs verbunden ist, wird im Lutherhaus auf moderne und dennoch geschichtsträchtige Weise deutlich gemacht. Tatsächlich soll das pittoreske Fachwerkhaus, das 1269 erbaut und 1356 zu seiner heutigen Größe erweitert wurde, Luthers Wohnstätte gewesen sein, als er mit 14 Jahren die Eisenacher Pfarrschule besuchte. 

Knarzende Dielen, niedrige Decken und krumme Wände: Die Lutherstuben, in denen der Jugendliche mutmaßlich lebte, sind heute ein einprägsamer Bestandteil der Ausstellung. Sie geben einen authentischen Einblick in die spartanische Lebensweise um 1500 und hinterließen in mir ein Gefühl von Dankbarkeit für den Komfort des Alltags, den ich viel zu oft als Selbstverständlichkeit wahrnehme. Es hätte mich nicht überrascht, hier plötzlich dem jungen Luther über den Weg zu laufen, der noch nichts von seiner späteren Bedeutung für die Weltgeschichte weiß.

Ein gewaltiger Akt der Freiheit: Luther und die Bibel

Mit ebendieser Bedeutung beschäftigt sich die Dauerausstellung im Lutherhaus Eisenach. Dabei legt sie den Fokus bewusst auf Luthers Bibelübersetzung. Innerhalb weniger Sekunden spürte ich die Leidenschaft, mit der Luther die Bibel übersetzte und verlor mich in der Betrachtung von Exponaten wie dem gehörnten Moses, einem kuriosen Beispiel für Fehler bei der Bibelübersetzung, dem „kleinsten Buch der Welt“ und dem Gemälde „Luther auf dem Totenbett“ von Lucas Cranach d. J. und seiner Werkstatt. Letzteres gehört zu den Lieblingsstücken von Dr. Jochen Birkenmeier, dem Direktor vom Lutherhaus Eisenach, wie mir dieser verriet.

Was mich als studierte Germanistin besonders faszinierte, ist Martin Luthers Einfluss auf die deutsche Sprache. So prägte er nicht nur Sprichwörter wie „Perlen vor die Säue“ oder „Stille Wasser sind tief“, sondern inspirierte auch Schriftsteller von Heine bis Brecht. Heute würde man Luther ganz sicher als Sprachakrobaten bezeichnen. Ob er wohl auch ein guter Poetry Slammer gewesen wäre? 

Außerdem überraschten mich Erkenntnisse wie diese: Luther hat die Bibel weder als erster noch allein übersetzt, er legte damit jedoch den Grundstein für die Vereinheitlichung der deutschen Sprache und eine nie zuvor dagewesene religiöse Freiheit. Zudem heiratete er als ehemaliger Mönch eine davongelaufene Nonne!

Martin Luther und Ai Weiwei: Freiheit als Privileg

Für damalige Verhältnisse war diese Verbindung ein ausgewachsener Skandal und der eindeutige Beweis dafür, dass es der Reformer Luther verstand, gesellschaftliche Grenzen zu überschreiten – sowohl im Privaten als auch im Öffentlichen, wo er mit Schriften wie „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ polarisierte.

Als es schließlich zum Bruch mit Kaiser und Kirche kam, floh er, seiner persönlichen Rechte beraubt, als „Vogelfreier“ auf die Wartburg, um hier Schutz zu suchen. Die Geschichte Martin Luthers lud mich regelrecht dazu ein, mein eigenes Privileg persönlicher Freiheit ganz bewusst wahrzunehmen und das Verständnis gesellschaftlicher Freiheit in unserer heutigen Zeit zu reflektieren. Der perfekte Ort dafür ist der Innenhof vom Lutherhaus Eisenach. Hier wird man in a cube, eine Arbeit des chinesischen Künstlers Ai Weiwei ausgestellt. In der Skulptur aus Beton verarbeitete Ai Weiwei seine eigene Haft und die Unfreiheit, die er dabei erfahren hat. Beim Betrachten des Kunstwerkes erfassten auch mich Gedanken an Einsamkeit, Starre, Isolation und Kälte. Ich konnte spüren, was es bedeutet, seine Freiheit zu verlieren.

Sonder- und Impulsausstellung im Lutherhaus Eisenach

Neben Ai Weiweis Kunstwerk gibt es im Eisenacher Lutherhaus noch weitere Besonderheiten zu entdecken. Mit der neu geschaffenen Impulsausstellung „Jugend, Gott und FDJ“ hat die Stiftung Lutherhaus Eisenach einen Weg gefunden, Museumsarbeit nachhaltiger und ressourcenschonend zu gestalten. Die multimediale Ausstellung, die sich noch bis Ende 2025 mit der komplexen Thematik „Kirche in der DDR“ beschäftigt, zeigt pointiert, wie die Gläubigen in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt waren und verfolgt wurden.

Bereits im Vorfeld hatte ich außerdem einiges über die Sonderausstellung „Erforschung und Beseitigung. Das kirchliche ‚Entjudungsinstitut‘ 1939–1945“ gehört. Schicksale wie die von Werner Sylten und der Familie Kirchheimer haben mich tief berührt und daran erinnert, wie fragil Freiheit ist – auch in der heutigen Zeit.

Der Besuch im Lutherhaus beeindruckte und berührte mich auf vielen Ebenen. Mein Verständnis für Luthers historische Bedeutung umfasst nun weitaus mehr als einen Eselskopf.

 

Text: Jessika Fichtel ist freiberufliche Texterin, Bloggerin und Buch-Autorin aus Eisenach. Mit Leidenschaft und Expertise erstellt sie authentische Inhalte.
Titelbild: Tobias Wille, Stiftung Lutherhaus Eisenach

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