Hier liegt ihr richtig! Ob in der Natur, mitten in der Stadt, für Familien, im Grünen, historisch oder traditionell: Unter Thüringens TOP-Gastgebern findet jede:r genau die passende Adresse.
Von Rotterdam in die Stadt an der Saale – Wunderbaum am Theaterhaus Jena
Das Theaterkollektiv Wunderbaum und sein Theaterhaus-Ensemble
Es ist dem Zufall zu verdanken, erzählt mir Walter Bart, eines der Wunderbaum-Mitglieder, kurz vor der Abendvorstellung bei einem Espresso im Theatercafé, dass die Gruppe im Jahr 2016 auf einer Online-Plattform für Bühnenjobs auf eine Anzeige aus Jena stößt. Gesucht wird ein kreatives Leitungsteam für das dortige Theater. Der Künstlergruppe ist die Stadt nicht unbekannt, schließlich hat sich das Theaterhaus Jena in den letzten drei Jahrzehnten als eine Arena für experimentierfreudige und unkonventionelle Bühnenkunst nicht nur in Deutschland, sondern auch international einen Namen gemacht. Bewusst bewegt man sich hier an der Schnittstelle zwischen freier Szene und Stadttheater und begibt sich ständig auf die Suche nach neuen kreativen Räumen.
Klingt ganz nach unserer Art, Theater zu machen, finden die sechs Absolventen der Toneelacademie, der Maastrichter Schauspielakademie, und beschließen, sich trotz der Entfernung zu Rotterdam als künstlerisches Team in Thüringen zu bewerben, denn: Niet geschoten, altijd mis. Wer nicht schießt, der trifft auch nicht ins Schwarze. In genau das treffen sie mit ihrer Bewerbung, und so geht es von der Nordsee in Richtung Saale. Gleich gegenüber vom geschichtsträchtigen Gartenhaus, in dem Schiller einst an "Maria Stuart", "Wallenstein" und der "Jungfrau von Orleans" feilte, hat Wunderbaum seit der Spielzeit 2018/ 2019 nun sein Basislager. Mit zahlreichen Gastspielen und Koproduktionen hat das Theaterhaus Jena inzwischen wohl das internationalste Publikum aller Thüringer Theater, denn: Vier der Wunderbaum-Mitglieder leben und arbeiten nach wie vor in den Niederlanden und Italien. Mit dem Theater Rotterdam und dem Mare Culturale Urbano in Mailand hat Wunderbaum zwei weitere Produktions- und Spielorte, an denen es regelmäßig mit Produktionen aus Jena gastiert. Gerade während der Lockdowns haben sie von ihrer bisherigen Arbeitsweise profitiert - Besprechungen oder Proben lassen sich auch über die Entfernung digital bewerkstelligen, seit Jahren schon arbeiten sie so.
Zusammen mit Wunderbaum sind inzwischen fünfzehn Darsteller am Theaterhaus Jena beschäftigt, einige von ihnen fest angestellt, andere sind Gäste, die regelmäßig in Produktionen eingebunden werden. Neben dem Ensemble gibt es weitere 25 Mitarbeiter in den Bereichen Dramaturgie, Technik und Verwaltung, Ausstattung, Theaterpädagogik und Öffentlichkeitsarbeit. Schminken allerdings müssen sich die Künstler meistens selbst, so wie heute Abend, kurz vor dem Theaterspektakel ”Der Clowns-Kongress”. Während zwei Ensemblemitglieder noch im Bademantel vor dem Schminkspiegel sitzen, rauscht eine der Schauspielerinnen in einem voluminösen Tüllrock und mit weißgeschminktem Gesicht an mir vorbei in Richtung Bühne, in einer halben Stunde geht es los. Verdomd! Wie heeft de lijm gezien? ruft es aus einer der Garderoben. Meine wenigen Brocken Niederländisch reichen aus, um zu verstehen, dass der Theaterkleber für die Clownsnasen gerade verschwunden ist, ausgerechnet jetzt. Aber das Ensemble bleibt erstaunlich gelassen, irgendwo wird der Kleber schon sein, zur Not müssen sie eben improvisieren. Jemand reißt einen Witz, Garderobentüren gehen auf und zu, am Schluss taucht er doch noch auf, der Kleber, jetzt sitzen die roten Nasen. Für einen Augenblick bin ich mir nicht sicher, ob das hier nicht schon zur Inszenierung gehört. Erstaunen würde es mich nicht, denn bei Wunderbaum sind die Grenzen zwischen fiktiver Wirklichkeit und wirklicher Fiktion fließend.
Es ist nicht nur die für die deutsche Bühnenlandschaft ungewöhnlich flache Arbeitshierarchie und die Leitung durch ein Künstlerteam, durch die sich das Theaterhaus Jena von anderen Theatern Thüringens deutlich abhebt. Wunderbaum ist bekannt für Theaterproduktionen, die sich im Spannungsfeld zwischen Schauspiel und Performance, Video und theatraler Installation bewegen. Thematisch setzen sie den Spaten dort an, wo sie stehen, die Stücke haben oft einen regionalen Bezug, die Texte basieren auf Improvisation und auf Recherche. Wer Schiller, Shakespeare oder Schimmelpfennig auf der Bühne sehen möchte, muss deshalb andernorts suchen. Überhaupt, die Bühne: Auf der sitzt das Publikum, mittendrin im Geschehen, denn einen klassischen Zuschauerraum gibt es am Theaterhaus Jena nicht. Vierte Wand? Fehlanzeige.
Ob in der Inszenierung ”Zur Wartburg” mit einem Bühnenbild wie aus einer Zeitkapsel, das die Zuschauenden in die Stammtisch-Atmosphäre einer echten Jenaer Schankwirtschaft mitnimmt, Verschwörungstheorien, Hochprozentiges und Nachwende-Wehmut inklusive, oder aber in ”Nackt” von Lizzy Timmers, einer Reise von der nationalsozialistisch eingefärbten Lebensreform-Bewegung, über die Hippiezeit bis hin zum FKK, auf der das Ensemble das Verhältnis zum eigenen Körper untersucht: Diese mitreißende Energie, die Direktheit und die ungeheure Spielfreude, mit der die AkteurInnen hier auf der Bühne stehen, erlebe ich selten im Theater. Dass Unterhaltung und politisches Theater sich nicht ausschließen, stellt das Theaterhaus Jena immer wieder auch mit Produktionen einzelner Ensemblemitglieder unter Beweis, wie in ”Damenwahl” des Duos hashtagmonike, in der sich Henrike Commichau und Mona Vojacek Koper mit der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche in einer männlich dominierten Gesellschaft auseinandersetzen. Lachen erlaubt, auch wenn es mitunter fast im Hals stecken bleibt.
Hat unsere Arbeit irgendeine Bedeutung? Genügt es, Fiktion zu machen? Diesen Fragen stellt sich das Kollektiv Wunderbaum in ihrem fiktiven Dokudrama ”Stop Acting Now” im Jahr 2016 - sie sind gerade jetzt, nach monatelangen Schließungen der Theater und vor drohenden Kürzungen im Bereich Kultur relevanter denn je. Dass man am Theaterhaus Jena auf aktuelle Impulse und gesellschaftliche Fragen schnell reagiert, zeigt sich auch an den Inszenierungen, die für die kommende Spielzeit geplant sind. Auf ”Work Harder”, ein theatrales Hörspiel über unsere Leistungsgesellschaft, und auf ”La Codista”, ein Stück über das Warten und den Wunsch, der Langsamkeit mehr Raum zu geben, bin ich ganz besonders gespannt, denn: Hier in Jena ist Theater kein Ort, an den man sich begibt, sondern ein Erlebnis. Es lohnt sich, dafür an die Saale zu reisen, egal ob aus Berlin, München oder Rotterdam.
Das Theaterhaus Jena begeistert ihre Gäste mit Schauspiel.
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