„Die Gedanken sind frei“

FREIgeister, die Thüringen präg(t)en

Sie stellen traditionelle Werte und Wege in Frage, widersetzen sich dogmatischen Denkmustern und loten die eigenen Grenzen immer wieder aufs Neue aus. Freigeister haben die deutsche Geschichte seit jeher geprägt und stehen heute noch für zukunftsweisende Ansätze und Ideen. Mal opportun und provokant, mal eloquent und pointiert – auch die Freigeister, die in Thüringen wirkten und wirken, verkörpern Freiheit und Aufbruch.


Johann Sebastian Bach: Eskapaden in Arnstadt

Wenn ihr euch auf dem Arnstädter Marktplatz umschaut, wird euch die Statue eines jungen Mannes auffallen. Lässig an einen Meilenstein gelehnt, die Beine weit von sich gestreckt, das Hemd freimütig aufgeknöpft, den Gehrock zum Sitzkissen umfunktioniert – es ist kaum zu glauben, doch dieses unkonventionelle Denkmal ist dem weltberühmten Musiker und Komponisten Johann Sebastian Bach gewidmet.

Was vielen nicht bewusst ist: Als Bach nach Arnstadt kam, um hier als Organist zu arbeiten, war er gerade einmal 18 Jahre alt und hatte den Kopf ganz offensichtlich voller Flausen. Überliefert sind verschiedene Eskapaden, angefangen bei eigensinnigen Interpretationen diverser Choräle über das Musizieren mit einer „frembden Jungfer“ und die handgreifliche Auseinandersetzung mit einem Schüler bis hin zur (nicht abgesprochenen) Verlängerung einer Studienreise von vier Wochen auf vier Monate.

Ja, der junge Bach war ein eigensinniger Libertin, der sich während seiner Zeit in Arnstadt viele Freiheiten herausnahm und sich dafür mehr als einmal rechtfertigen musste. Getrieben wurde er stets von seiner Liebe zur Musik und dem Wunsch, ein herausragender Organist und Komponist zu werden. Dass ihm dies gelang, bezweifelt heute niemand. 

Entdeckt das Bachland Thüringen hier.

Friedrich Schiller: „Dichter der Freiheit“

Friedrich Schiller, einer der bedeutendsten Vertreter der deutschsprachigen Literatur, wird auch als der „Dichter der Freiheit“ bezeichnet. In seinen Stücken finden sich Themen wie die Kritik am Absolutismus und der Ständegesellschaft, die Nationenbildung und das Bürgertum. Damit war er nicht bloß ein Freigeist, sondern ein vehementer Vordenker.

Dies unterstrich der Literat nicht bloß in seinen Texten. Als er aus dem Herzogtum Württemberg floh und Staatsbürger von Sachsen-Weimar-Eisenach wurde, glich das einer Sensation. Später erhielt Schiller außerdem die Ehrenbürgerschaft Frankreichs und somit zwei Staatsbürgerschaften.
Freiheit war für Schiller jedoch keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Kaum vorstellbar, doch der Dichter war zeit seines Lebens krank und musste dennoch aus finanziellen Gründen stets arbeiten. Die Abhängigkeit von seinen Geldgebern beeinflusste das Wirken Schillers maßgeblich und stand im starken Kontrast zu seinem Bedürfnis nach kreativer Entfaltung. Immerhin: Den „Schiller-Kragen“, also das Weglassen einer straffen Halsbinde, konnte ihm niemand ausreden.

Friedrich Fröbel: Spielerisch die Welt entdecken

Geht es um Erfindungen aus Thüringen, denken die meisten sofort an optische Geräte, das Skat-Spiel oder Gartenzwerge. Was in dieser (unvollständigen) Liste jedoch keinesfalls fehlen darf, ist der Kindergarten. Denn auch dieser hat seinen geistigen Ursprung in der Mitte Deutschlands.
Sein Erfinder Friedrich Fröbel erkannte, wie wichtig die frühe Kindheit für die Entwicklung eines Menschen ist. Seine Überzeugung: Jedes Kind ist individuell und entwickelt sich in seinem eigenen Tempo. Ihnen die Freiheit zu geben, eigene Entscheidungen zu treffen, kann als pädagogische Revolution aus dem Thüringer Wald betrachtet werden.

Bruno Apitz: Kunstschaffender in Buchenwald

Für Freiheit in einem gänzlich anderen Kontext steht der Künstler Bruno Apitz, der wegen politischen Widerstandes von 1937 bis 1945 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert war. Der Unfreiheit des Lagers setzte er die Kunst entgegen: „Wir haben nicht nur geholzbildhauert, es wurde im Lager auch gemalt, es wurde musiziert, komponiert, geschrieben – heimlich, illegal das meiste. Was war es anderes als eine Selbstbefreiung des Menschen, als eine Bejahung des eigenen Menschtums?" Seine Clownsfigur, die er für sich selber schuf, reflektiert seine Rolle als Lagerbildhauer für die SS.

AKUT alias Falk Lehmann: gesellschaftskritische Mural Art

Geboren und aufgewachsen im beschaulichen Schmalkalden reist Falk Lehmann mittlerweile als gefeierter Streetart-Künstler AKUT um die ganze Welt. Dass Kunst für ihn Freiheit bedeutet, unterstreicht z. B. dieses Zitat: „Als zweites Kind in einer Familie mit den Eltern und Großeltern zusammen in einem Haus bin ich ein wenig unter dem Radar geflogen. Ich konnte tun, wozu ich Lust hatte und das war schon sehr früh das Malen.“ (Quelle)

Nachdem sich Lehmann während seiner Jugend verloren hatte, fand er schließlich Halt im Schmalkaldener Kulturverein Villa K. Was folgte, war eine intensive Zeit der kreativen Selbstfindung und künstlerischer Grenzauslotung, die ihn auch in internationale Gefilde führte und Freiheit jenseits der Thüringer Provinz völlig neu definierte.

Seine Werke umfassen sowohl großformatige Wandbilder im öffentlichen Raum als auch Malereien auf Leinwand, die heute in Galerien und Museen weltweit, beispielsweise in Paris, London und Los Angeles, ausgestellt werden. Lehmanns Arbeiten greifen immer wieder gesellschaftskritische Themen auf. Ein Motiv, das sich in seiner Arbeit stetig wiederholt, ist der Holocaust und die damit verbundene Erinnerungskultur. So hat Falk Lehmann beispielsweise das überlebensgroßes Porträt der Holocaust-Überlebenden Magda Brown in seiner Geburtsstadt Schmalkalden verewigt und ihr damit ein Denkmal gesetzt.

Isa Schreiber: Porzellan-Handwerk neu gedacht

Wenn es einen Satz gibt, den Freigeister wie Isa Schreiber nicht ausstehen können, dann ist es vermutlich „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Die Bauhaus-Absolventin testet ressourcenschonendere Herstellungsprozesse für Porzellan – eben weil der herkömmliche Weg nicht immer automatisch der beste ist. In ihrem Weimarer Studio, das Isa Schreiber gerade aufbaut, arbeitet sie an neuen Produkten und genießt dabei die Freiheit, ihrer Intuition zu folgen – sowohl auf kreativer als auch auf administrativer Ebene.

„Die Freiheit ist das höchste Gut, das der Mensch besitzen kann.“ Diese Worte Friedrich Schillers würden wohl alle hier vorgestellten Persönlichkeiten unterschreiben. Als Vordenker und Vorbilder ihrer Epochen stehen sie für Formen der Freiheit, die auch heute noch an den unterschiedlichsten Orten in Thüringen erlebt werden können.

 

 

Text: Jessika Fichtel ist freiberufliche Texterin, Bloggerin und Buch-Autorin aus Eisenach. Mit Leidenschaft und Expertise erstellt sie authentische Inhalte.
Titelbild: Florian Trykowski ist selbstständiger Werbefotograf und lizensierter Drohnenpilot. Neben seiner Tätigkeit als Konzert- und Bandfotograf liegt sein Arbeitsschwerpunkt auf Tourismus.


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