Naturregion Biosphäre im Thüringer Wald

Mit dem Ranger zum Rennsteig

Echte Ranger gibt es längst nicht nur in den Nationalparks der afrikanischen Savanne oder der kanadischen Wildnis. Sie streifen ebenso durch die Wälder entlang des Rennsteiges. Wer sich selbst davon überzeugen möchte: Einfach an einer geführten Wanderung teilnehmen. Ganz in der Nähe von Schmiedefeld, am Bahnhof Rennsteig, startet eine der Touren. Während der zweistündigen Wanderung erlebt man die magisch-mystische Herbstnatur des UNESCO-Biosphärenreservates Thüringer Wald. Das triste Novemberwetter stellt sich als perfektes Anti-Aging-Programm heraus: Von oben eine leichte hydrokosmetische Sprühkur, dazu angenehme Luftfeuchtigkeit für die Haut und eine Farbtherapie mit beruhigenden Grüntönen und warmen Herbstfarben der Laubbäume. 

Nächster Halt: Bahnhof Rennsteig

© Susen Reuter

Bernd Wilhelm, waschechter Ranger des UNESCO-Biosphärenreservates Thüringer Wald, wartet bereits am Wanderparkplatz „Bahnhof Rennsteig“ auf mich. Genauso hatte ich mir einen Ranger vorgestellt: Outdoor-Kleidung in erdigen Naturtönen, dazu ein Hut mit schmuckvoller Feder.

Nach einer kurzen Begrüßung möchte ich wissen, um welche Feder es sich genau handelt. „Das ist eine originale Feder eines Uhus“, teilt mir Bernd voller Stolz mit, und dann stapft er auch schon los. Ich folge ihm auf Schritt und Tritt.

© Susen Reuter

Zunächst über den Bahnhof Rennsteig, entlang der alten Gleise und dann hinein in den dichten Wald. Während der ersten Minuten beantwortet er geduldig meine neugierigen Fragen: „Früher arbeitete ich in der Forstwirtschaft. Das ging irgendwann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr, so nahm ich einer Weiterbildung zum geprüften Natur- und Landschaftspfleger teil. Jetzt bin ich glücklich, mit Gästen im Wald unterwegs zu sein und die Natur ein Stückchen näherzubringen.“ Das nehme ich ihm sofort ab. Seine Begeisterung überträgt sich und ich lausche gespannt den ersten Ausführungen, als wir an einer zuckersüßen, kleinen Jungbuche stehen bleiben.

© Susen Reuter

„Die kleinen Buchen behalten ihre Blätter bis ins Frühjahr hinein. Sie können noch länger Photosynthese betreiben, da die Baumriesen über ihnen das Laub abgeworfen haben und nun genügend Licht auf den Buchen-Kindergarten fällt“, erklärt Bernd und schaut auf die rostroten Blätter, die im Regen nochmal so kräftig leuchten.

Bio-Perserteppich des Thüringer Waldes

© Susen Reuter

In einem angenehmen und nicht zu schnellem Wandertempo, das genügend Zeit für Naturbeobachtungen lässt, laufen wir weiter. Bernd erklärt, warum bestimmte Nadelbäume wie geschaffen sind für Höhenlagen mit viel Niederschlag. Anhand von Flechtenarten könne man sogar bestimmen, wie es um die Sauberkeit und Reinheit der Luft bestellt ist. „Bartflechten sind solche Indikatoren“, meint Bernd und fährt fort: „Bartflechten mögen es, wenn die Luft kühl, feucht und sauber ist. Exemplare mit besonders langen Fäden, die von den Ästen hängen, sind ein Indiz für hervorragende Luftqualität.“ Aha, wieder etwas gelernt. Wir schlendern weiter und entdecken eine Vielfalt an Flechten, wie die Schüsselflechte.

© Susen Reuter

Beim genauen Betrachten sehen die kleinen Fruchtkörper tatsächlich aus wie Schüsseln in Miniaturform, und die der Becherflechte wie kleine Sektkelche. „Vielleicht das Geschirr für Kobolde und Elfen?“, mutmaße ich mit einem Augenzwinkern. Dann wird meine Aufmerksamkeit plötzlich auf den Boden gelenkt: Ein dicker, endlos scheinender grüner Moosteppich tut sich auf. Der Laufsteg der Natur. Es läuft sich wunderbar weich und federleicht. 

Ein Ranger mit detektivischem Gespür

Nach einer Weile stoppt Bernd und zeigt zielstrebig auf „Beweismaterial“ – es führt zur Spur eines Eichhörnchens. Es scheint genüsslich an einem Zapfen geknabbert zu haben. Liegen blieb nur ein abgenagter Fichtenzapfen. Bernd klärt den Tatbestand auf: “Das Eichhörnchen nimmt den Zapfen zwischen die Vorderpfoten und reißt Schuppe für Schuppe mit den kräftigen Zähnen ab, um an die Samen zu kommen“, sagt er und ergänzt: „Übrig bleibt nur eine fransige Zapfenspindel.“

Wir sehen ringsherum auch abgebissene Triebe der Bäume – eindeutig Eichhörnchen. Die Triebe fallen zu Boden, während es das Eichhörnchen auf die schmackhaften Knospen abgesehen hat. Wir wandern weiter und nach einer Weile fällt mir die wohltuende Ruhe auf. Noch nicht mal ein Vogelzwitschern ist zu hören. „Diese totale Stille ist etwas Besonderes. Auf meinen Wanderungen fordere ich Teilnehmer gern auf, mal zwei Minuten ganz bewusst zu schweigen und Ruhe zu genießen“, sagt Bernd. „Und, klappt’s?“, frage ich. Bernd versinkt in lächelndes Schweigen und behält die Antwort für sich.

© Susen Reuter

Power-Quellwasser und Bärwurz-Superfood

© Susen Reuter

Die Naturschätze inmitten des Biosphärenreservates lassen nicht lange auf sich warten: Wir begegnen plätschernden Bachläufen, in denen sich kristallklare Wasserschwaden über Steine legen, um später an anderer Stelle als gläserner Vorhang Staustufen zu überwinden. Wir bestaunen die filigranen Blätter des Bärwurzes in der Wiese und atmen seinen würzig-aromatischen Duft ein. Wir erfreuen uns an Blaubeersträuchern, an denen blauschwarze Beeren wie kleine Bälle herabhängen. „Als echter Thüringer Wäldler kommt man um das Schwarzebeerfest in Vesser nicht herum,“ sagt Bernd und berichtet von der reichhaltigen Kultur mit vielen regionalen Bräuchen. Und von Rezepten wie dem Schwarzebeerkuchen oder vom Bärwurzschnaps.  Dann hält er für einen Moment inne, um mir das Goldene Frauenhaarmoos zu zeigen und erklärt: „Fasse es ruhig mal an, es sieht zwar borstig aus, ist aber schön weich.“ 

Von uralten Weißtannen und stinkendem Waldziest

© Christopher Schmid

Nach einigen Schritten erreichen wir eine Weißtannen-Versuchsfläche. Hier wird in Sachen Klimawandel geforscht, um – unter besonderer Berücksichtigung der Weißtanne – zukunftsfähige, klimastabile Mischwälder zu schaffen. „Auf den Flächen werden heimische und rumänische Weißtannenherkünfte unter verschiedenen Standort- und Klimabedingungen miteinander verglichen“, schreibt der ThüringenForst. Bernd nimmt den kurzen Stopp zum Anlass, um das ultimative Unterscheidungsmerkmal zur Fichte darzulegen: Die Zapfen der Weißtanne stehen aufrecht auf den Zweigen, die der Fichte hängen herab. „Und das zweite Merkmal: Die Fichte sticht, die Tanne nicht“, erklärt er einleuchtend. Überhaupt hat Bernd das Talent, während der gesamten Wanderung das Wissen um die Natur spielerisch und mit Humor zu vermitteln. Es wird viel gelacht und geschmunzelt, auch über den Rainfarn. „Den Namen kann sich wirklich jeder merken. Sieht aus wie Farn, wächst am Rain“ meint der Ranger salopp, und weist unmittelbar danach auf eine weitere Pflanze hin. „Das ist die Stinkepflanze, der Waldziest. Wenn man jemand nicht leiden kann – einfach die Blätter leicht zerreiben und der Person unter die Nase halten“, sagt er mit einem schelmischen Lächeln. Für Menschen ein unangenehmer Geruch, aber von den Schwebfliegen heiß begehrt. Ein paar Schritte weiter begegnet uns ein stattliches Exemplar einer Weißtanne, ein wahrer Baumriese. Bernd schätzt den Baum auf mindestens 120 Jahre. Einst gab es viele Weißtannen im Thüringer Wald, gemeinsam mit Bergahorn, Buchen und Fichten waren sie ein fester Bestandteil der Bergmischwälder. In den Kernzonen des Biosphärenreservates kann man einen guten Eindruck davon bekommen – dort ist’s urwüchsiger und naturbelassener als andernorts. 

Sanftes Moos trifft rockige Flechte zum Tanz auf Zweigen

© Susen Reuter

Auf dem Weg zurück zum Ausgangspunkt schmücken so manche Farbtupfer das graue November-Einerlei: Hellgelbe Schwefelköpfe besiedeln liegendes Totholz, daneben grüne Becherflechten und rostrotes Buchenlaub. Auf einer alten Baumstubbe wuchern in leuchtendem Orange baumzersetzende Pilze, die von weitem wie Korallen ausschauen. An den Zweigen der Salweide haben sich Knospen in ein dickes Winterfell gepackt und gegen die Kälte vorgesorgt: Sie sind von einer flaumig-pelzigen Schicht überzogen, die sich wie Samt zwischen den Fingern anfühlt. Moose und Flechten überziehen in unterschiedlichsten Grüntönen Äste und Zweige. Dann geht’s vorbei am Hangversumpfungsmoor "Kleine Hohe Warthe", mit botanischen Schätzen wie dem Wollgras und seltenen Torfmoosen.

Bernd erklärt, dass Torfmoose nur rund 1 Millimeter pro Jahr wachsen. Seit gut 10 Jahren wurde die Stelle nicht mehr trockengelegt und das Moor konnte sich schrittweise zurückbilden. „Manche Dinge brauchen eben Zeit“, sagt Bernd und fährt fort: „Genauso, wie man sich als Mensch für die Natur Zeit nehmen sollte. Wandern sollte nicht primär mit einem Zweck verbunden sein, etwa mit Kalorienverbrauch oder einer bestimmten Anzahl zurückgelegter Kilometer. Es macht mich wahnsinnig, wenn ständig der Schrittzähler überprüft wird. Bei unseren Wanderungen geht darum, einfach zu genießen, was ringsherum ist. – Dass man selbst einem trüben Herbsttag viel Schönheit abgewinnen kann, ist Ranger Bernd Wilhelm gelungen. Die Wanderung bleibt unvergesslich und war eine Wohltat für Körper, Geist und Seele. 

© Susen Reuter

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